Missbrauch in der Kirche
Shownotes
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09/02/2024
Missbrauch in der Kirche
00: 00:02 Intro
00: Difference, weil Glaube zu denken gibt. Reformierte Perspektiven auf Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Politik.
00: 00:12 Stephan
00: Herzlich willkommen zu Difference, heute mit einem schweren Thema. Es geht um Missbrauch, sexualisierte Gewalt in der Kirche. Und das Jahr 2024 ist dabei so etwas wie eine Zäsur im evangelisch -protestantischen Selbstverständnis innerhalb der Kirchenlandschaft. Lange, lange Zeit war Missbrauch ein Thema, das wir eher mit der katholischen Kirche in Verbindung gebracht haben. Oft war so die Rede davon, ja, das gibt es vielleicht bei den Reformierten auch, ähnlich wie es auch in Sportvereinen oder Freizeitgruppen zu Missbrauchssituationen kommen kann. Diese Haltung ist über den Haufen geworfen worden mit dieser Publikation der EKD -Studie. Und viele, viele Menschen sind davon überrascht worden, aus Kirchenpolitik, im Pfarramt, in Kirchgemeinderäten. Und man hat das Gefühl, auch innerhalb der akademischen Wissenschaft. Eine, die davon nicht überrascht worden sein dürfte, ist Isabelle Noth. Sie arbeitet seit mindestens zehn Jahren an diesem Thema. Es gibt eine Veröffentlichung von 2015, es gibt eine Veröffentlichung vom vorletzten Jahr dazu. Das ist die fundierte Auseinandersetzung mit Missbrauch in der Kirche, die eben nicht einfach eine konfessionelle Schranke eingezogen hat. Isabelle, wir haben Glück, dass du heute mit uns über dieses Thema sprichst als Expertin. Schön, dass du da bist. Herzlichen Dank.
00: 01:47 Isabelle
00: Vielen Dank für die Einladung.
00: 01:48 Stephan
00: Und auch mit uns diskutieren wird Frank Mattwig. Frank ist einer, der die Missbrauchsthematik aus unterschiedlicher Perspektive schon in den Blick genommen hat. Er hat zu tun mit der Seelsorgeausbildung, wo das ein wichtiges Thema ist. Frank ist aber auch einer, der immer wieder den Finger auf den wunden Punkt legt und sagt, nicht vorschnell vergeben, nicht vorschnell überdecken, nicht vorschnell aufarbeiten. Und Frank, du bist mir ein ganz wichtiger Gesprächspartner heute, weil ich mich gut erinnern kann, als im September die katholische Pilotstudie herausgekommen ist und wir dabei waren, unsere Wordings zu schleifen. Und was sagen wir jetzt gegen außen? Du immer gesagt hast, sagt nichts, was ihr später bereuen könntet. Ich sage jetzt nicht, das waren dunkle Vorahnungen, aber du hast wahrscheinlich, ähnlich wie Isabelle, not über dieses ganze Thema einfach schon länger nachgedacht wie wir. Ich frage euch jetzt beide, als die Studie rausgekommen ist im Januar, wart ihr überrascht? Wart ihr entsetzt? Was hat das mit euch gemacht?
00: 02:58 Isabelle
00: Nicht überrascht, aber selbstverständlich entsetzt, dass wir uns lange in diesem Bereich getäuscht haben, und zwar wirklich breit getäuscht haben. Das hat man schon länger beobachten können, und man wartete darauf, wann endlich die Ent-täuschung zustande und das war der Punkt.
00: 03:18 Stephan
00: Du hast mit dieser Enttäuschung gerechnet? Dich hat sie nicht ent-täuscht?
00: 03:24 Isabelle
00: Nein, sicher nicht. Wir haben das Thema in der Seelsorgeausbildung und auch in der Weiterbildung schon seit Jahren, und wir beobachten diese Fälle, diese Interaktionen und vor allem diese Selbsttäuschungen. Hinzu kommt, und das werden wir sicher noch vertiefen, wir müssen zur Kenntnis nehmen, wie unser psychisches System funktioniert und wie wir mit unangenehmen Tatsachen, mit Wahrheiten umgehen und wie wir uns davor schützen. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen, aber da kommen wir sicher drauf. Das ist auf jeden Fall ein wichtiges Stichwort.
00: 03:56 Stephan
00: Frank, wie ging es dir?
00: 03:58 Frank
00: Also mir ging es genauso wie Isabelle. Und ich muss sagen, was mich aber dann nachhaltig beschäftigt, also auch heute noch, ist, dass ich so eine eigene Schizophrenie wahrnehme. Auf der einen Seite war mir relativ klar, dass eine Studie, die die evangelischen Kirchen betrifft, zu ähnlichen Ergebnissen kommt. Als die Studie dann aber draußen war, war es einerseits dieses Entsetzen und zweitens, dass ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, dass das, was dort dokumentiert ist, tatsächlich stattgefunden hat. Das ist der eine Punkt. Und der zweite Punkt, ich kann selber mich nicht vorstellen, dass ich eigentlich die längste Zeit meines Theologen -Lebens durchaus mich mit vielen ethischen Themen und auch kritisch befasst habe, aber das Thema Missbrauch nicht in der angemessenen Weise auf dem Schirm gehabt habe und ich frage mich, wie die eigene Selbstverblendung eigentlich funktioniert hat. Also, ich würde auch bewusst sagen, es ist eine Form von Indoktrination, von Selbstindoktrination. Und das hat mich eigentlich auf die Fährte gesetzt, mal zu schauen, was ist eigentlich mein theologisches Denken, was mich dorthin gebracht hat, in dieser Fehlwahrnehmung theologisch durchs Leben zu laufen.
00: 05:33 Stephan
00: Diese Fehlwahrnehmung lässt sich ja ziemlich präzis beschreiben für ganz viele Menschen, die innerhalb der Kirche arbeiten und denken. Ihr habt das in eurem Überblicksartikel der jüngeren Publikation gut dargestellt, was solche vielleicht missbrauchsbegünstigenden Strukturen oder Faktoren sind, die man in der katholischen Kirche beobachten kann. Das ist zum Beispiel dieser scharfe Kontrast zwischen wer ist drinnen, wer ist draussen, die Gegenüberstellung von Klerus und Laien, der Dualismus zwischen Körper und Seele und dann dieser Kontrast zwischen Wort und Wirklichkeit. Und ihr habt beschrieben, wie daraus toxische Separatwelten entstehen, die man aufklären muss über sich selbst. Ich glaube, nichts davon muss man zurücknehmen in dem Moment. Ich glaube, dass gilt alles noch, auch wenn jetzt gewisse katholische, sehr konservative Kreise sagen, naja, seht mal, es hat gar nichts zu tun mit unserer Struktur. Bei den evangelischen ist es auch so. Ich glaube, das gibt die Studie nicht her, oder? Ich denke, da würdet ihr immer noch völlig dazu stehen. Was vielleicht etwas schwieriger wahrzusehen ist, dass es missbrauchsbegünstigende Strukturen in der evangelischen Kirche gibt, die gerade umgekehrt kodiert sind. Also ich drehe das jetzt mal um. Es gibt überhaupt keine scharfe Grenze zwischen drinnen und draussen, zwischen Verantwortlichkeit, Zuständigkeit etc. Es gibt kein klares Bewusstsein, ob die Pfarrerin der Pfarrer, müsste man vor allem sagen, wenn man die Zahlen anschaut, ob der Pfarrer mein Kumpel und Freund ist oder ob er gerade in einer bestimmten Rolle mir begegnet und eben wirklich dann halt nicht einfach der Kumpel ist. Es gibt gerade im Bereich Körper, Seele, gerade wenn wir das auf sowas wie sexuelle Emanzipation 68er -Bewegung und das Ganze, was danach kommt, keine klare Grenze, sondern eher eine Entgrenzung, was da zu erleben und zu tun ist. Also ich will das jetzt nicht alles durchspielen, aber es scheint gerade auch in diesen Unklarheiten ein ungeheures Potenzial für Missbrauch zu liegen.
00: 07:59 Isabelle
00: Wir sprechen im Buch von besonderen Handlungsfeldern oder Möglichkeitsfeldern, das heisst, dass all das, was du jetzt aufgezählt hast, das sind alles Aspekte, die missbrauchsbegünstigend sein können, nicht müssen, sein können. Zentral erscheint mir noch, als das, was in in den unterschiedlichen Möglichkeitsfeldern wirksam wird, zu überlegen, nochmals, wie funktionieren wir Menschen? Ich finde, das hat mich beeindruckt, Frank, was du gesagt hast mit dieser Selbstreflexion. Ich komme von einer anderen Geschichte her, nämlich jener Geschichte, die mit anderen zusammen mehrfach darauf hingewiesen hat, dass Dinge nicht wahrgenommen werden. und deshalb massiv auch unter Druck gesetzt wurden. Vieles von dem miterlebt haben, was geschieht, wenn man auf schmerzhafte Wunde Punkten hinweist, auf Mechanismen, die ablaufen, die aber mit so viel Macht verbunden sind, dass man einfach nicht dagegen ankommt und dann die ganze Gewalt zu spüren bekommt von Kreisen, die das auf alle Fälle unterdrücken wollen. Das war jahrelang so. Das war in Seelsorgeausbildung, in Kursen, wenn man darauf hingewiesen hat, Moment, was haben Sie jetzt oder was hast du gerade gesagt? Wie bitte? Und das ganz schnell kaschiert wurde. Wenn man dann weitergefahren ist und gesagt hat, nochmals, «Wie bitte? Seid ihr euch bewusst, was jetzt gerade abgeht?», dass das fast Kurse gesprengt hat. Wenn man da nicht irgendwie realisiert hat, man fliegt jetzt gleich raus, wenn man da weiterfährt, und man muss sich entscheiden, will man jetzt die ganze Geschichte auffliegen lassen oder hält man sich etwas zurück, denn man hat es ja gesagt. Das war wirklich unwahrscheinlich belastend. Ich spüre noch heute Rückblick auf diese verschiedenen Situationen von Profis, notabene kirchlichen Profis, die hier wirklich kolossal versagt haben, die nicht wahrgenommen haben, die weggeschaut haben, wie auch erlösend nun heute es ist, dass nun endlich gezeigt wird, Da ist so viel Täuschung in den Kirchen vorhanden, und da wird so viel weggeschaut. Wir haben jetzt nochmals einen anderen Standpunkt, wo wir schauen können, wie ist es eigentlich wirklich.
00: 10:47 Stephan
00: Du hast am Anfang gesagt, wir müssen verstehen, wie dieses psychische System funktioniert. Ist das das, was du meinst mit dem psychischen System, dass wir Dinge, die uns unangenehm sind, wegdrücken und nicht wahrhaben wollen und die keine Sprache bekommen sollen?
00: 11:02 Isabelle
00: Wir haben ja auch in der Sozialpsychologie die ganze Bias -Forschung, die ganze Forschung, wie wir wahrnehmen, wie wir Dinge selektiv auswählen, immer nur das an Informationen beziehen, was uns, was wir eh schon für richtig erachten, bestätigt, also der Confirmation Bias. Wir nehmen das andere gar nicht wahr. Wir lassen uns ja dauernd bestätigen von jenen um uns herum, die der gleichen Meinung sind. Und diejenigen – das sind ja auch Universitäten, das sind ja die besten Anschauungsbeispiele dafür, denn sie denken ja, sie seien wahnsinnig gescheit, und sie sind ganz besonders klug, und sie denken und sind ja rational, und genau da passieren meines Erachtens, wirklich aus meinem Anschauungsmaterial, die schlimmsten Verfehlungen, weil sie nicht imstande auch nicht geübt sind – nochmals, das ist etwas, das man sehr mühsam üben muss, wirklich hinzuschauen und sich zu hinterfragen, ja, Moment mal, nehme ich das nur so wahr oder finde ich jetzt diese Person so schrecklich, weil sie mir Unangenehmes präsentiert oder weil sie mir einen Spiegel vorhält oder weil sie Dinge sich in einer Art und Weise vielleicht benimmt, die nicht in das hineinpasst an Normen, wie ich aufgewachsen bin. Noch ganz kurz. Das, was ich als richtig erachte, die Normen, die ich pflege, alles, was ich für richtig finde, wenn das infrage gestellt wird, dann habe ich ein Problem. Ausser ich habe es mühsam immer wieder geübt, das infrage zu stellen. Noch ein letztes. Wir kennen es aus der Forschung. Es gibt zig Studien, die zeigen, Leute, die eher negativ, pessimistisch eingestellt sind, man hat sie eine Strasse entlanglaufen lassen, man hat eine hunderte Note auf die Strasse gelegt, die laufen entlang sehen das nicht. Leute, die eher positiv eingestellt sind, neugierig dem Leben gegenüber, offen, selbstverständlich sehen sie mit einem bedeutend höheren Prozentsatz diese hunderter Note. Das ist so eines der Beispiele. Das lässt sich an x anderen Beispielen zeigen, wie die Leute wahrnehmen. Noch ein letztes – sorry, ich bin gerade fertig. Mach nur, du hast gerade viel Zeit. Ich merke einfach, das beschäftigt mich sehr, weil eigentlich die Universitäten sind Forschungsstätten. Sie wissen das alles, aber sie sind nicht imstande, die Konsequenzen davon zu ziehen und umzusetzen. Was das für ihre Strukturen bedeutet, was das für ihre Abläufe bedeutet, sie schaffen es bis jetzt einfach nicht. Und die Kirchen, darf ich mal so behaupten, auch noch nicht.
00: 13:57 Frank
Da würde ich gerne anschließen, weil genau deine Beschreibung, Isabelle, das geht dir wahrscheinlich ähnlich, wir sind ja beide Theolog: innen, hat das etwas mit unserer DNA zu tun? Also ist das ein heterogenes Phänomen, was Institutionen haben, die irgendwie so konstruiert sind wie Universität oder Kirchen? Oder hat es auch etwas Spezifisches, was mit unserer Art und Weise, wie wir Institutionen denken, also aus einer theologischen Perspektive oder aus einer theologisch -kirchlichen Perspektive zu tun? Und das ist eigentlich, was mich beschäftigt und das Verrückte, was ich also quasi so als Selbsttest festgestellt habe, wenn ich unter dem Eindruck der Missbrauchsstudien der letzten Jahre die Bibel lese, auch gerade die klassischen Traditionen, angefangen von der Hiob -Geschichte über die Bergpredigt, über den herzigen Samaritaner, überhaupt die Geschichte des Leben Jesu, dann stelle ich plötzlich fest, dass sich die traditionellen, auch gerade moralischen Botschaften, die diese Texte transportieren, sich vollständig umdrehen. Also wenn ich das Beispiel Hiob nehme. Hiob, diese Wette Gottes mit dem Teufel, die bei der ersten Wette dazu führt, dass er alles verliert. Er verliert seine Kinder, er verliert seine Familie, er verliert sein ganzes Eigentum. Und was macht Hiob? Er zerreißt seine Kleider und lobt Gott. Und da findet ja etwas statt, was vielleicht mehr ist als nur diese Geschichte von Gottesgehorsam, wie wir das erstmal deuten, sondern es gibt einen Subtext. Und dieser Subtext könnte lauten, wer Opfer ist, ist nicht in jedem Fall Opfer von Victim, sondern er ist vielleicht auch, es gibt ja auch dieses heilige Opfer, dieses Sacrifice. Und Hiob ist eigentlich die Gallionsfigur der Menschen, die zum Opfer werden und sich nicht über den Opferstatus beklagen, ihn nicht mal diesen Opferstatus bekämpfen, sondern in der Erfahrung und dem Erleben ihres Opferseins Gott loben.
00: 16:17 Isabelle
00: Das ist verheerend. Also wenn man das so weit ist, ist das absolut verheerend.
00: 16:20 Frank
00: Wir können uns auch das Beispiel Jesu vornehmen und sagen, also wie endet er? Er setzt sich im Grunde genommen über den Staat, auch über die Beurteilung der Gesellschaft hinweg, geht seinen Weg, wird zum Opfer und das ganze Christentum tut nichts, als diese Opferexistenz zur Grundlage ihres Glaubens zu machen. Mein Standardbeispiel ist mal der barmherzige Samaritaner. Was wäre eigentlich gewesen, wenn er zu der Prügelei gekommen wäre? Was hätte er dann gemacht? Und es ist im Grunde genommen, wenn ich jetzt dieses Beispiel mal zusammennehme und versuche mal jetzt sehr platt einen gemeinsamen Nenner zu nehmen. Ich lese nirgendwo, nirgendwo lese ich etwas davon, dass uns die Wahrnehmung von Opfern aufrufen, die Ursachen von Gewalt zu bekämpfen, sondern im Grunde genommen dieses Opfer zu Skarifizieren und eigentlich eine Position einzunehmen, okay, das muss jetzt so sein, aber irgendwann viel später gibt es so etwas wie eine Gerechtigkeit oder Auflösung. Natürlich ist das alles nicht so gemeint, aber die Frage ist, was es mit uns macht, dass wir genau mit diesem Opferbegriffen und dem Opferdenken eigentlich durch die Welt laufen.
00: 18:08 Isabelle
00: Wenn es quasi unbewusst oder implizit eine Form der Identifikation gibt, dann wird es hochgradig schwierig. Das kann man wirklich sagen. Das sind theologische Traditionen,
00: 18:22 Isabelle
00: die ganz sicher auf einer Ebene wirksam sind, wenn sie nicht aufgearbeitet werden, wenn sie nicht emanzipativ aufgenommen werden, im Sinne, dass man eben nicht sich identifiziert, sondern das als Geschichte nimmt, die einen ermächtigen sollte, dann wird es schwierig, oder? Ja. Aber ich würde jetzt behaupten, heutzutage – ich meine, das hat man jetzt gesehen bei dieser Studie – die Leute sagen, sie wollen nicht beseelsorgt werden, sondern sie wollen schon, dass man ihnen auch zuhört, natürlich, aber sie wollen insbesondere, dass es aufhört. Das ist das Grundanliegen, und das wäre auch eine Form der Selbstwirksamkeit stärken, dass solche Dinge nicht mehr möglich sind. Sie wollen nicht, dass man Ihnen liebevoll über den Kopf schreit und sagt, du armes Opfer. Das ist ein Teil vielleicht. Aber viel wichtiger und auch für die Heilung, für eine mögliche Heilung, falls es überhaupt möglich ist, besteht darin, dass wir alles tun, um zu schauen, dass so etwas gar nicht mehr passieren kann.
00: 19:26 Stephan
00: Und es scheint ja auch so zu sein, also wenn man dann die Aussagen liest, die jetzt vorliegen, dass es den Betroffenen schon fast so ein ethisches Anliegen ist, dafür zu sorgen, dass das nicht mehr vorkommt. Also sie haben zum Teil überhaupt keinen Bock mehr auf Kirche, trauen der Institution auch keinen Meter mehr über den Weg, aber sie sehen es irgendwie noch als ihre Pflicht, dafür zu sorgen, wenigstens diese Info deponiert zu haben, dass man es verhindern könnte.
00: 19:55 Frank
00: Darf ich noch einen Punkt ergänzen, der mir in der theologischen Literatur bis heute auffällt? Worüber wir eigentlich sprechen, ist, was, ich sage es mal provokant, was hindert Kirchen, vielleicht auch die Theologie daran, Menschen als Personen zu sehen. Personen im Sinn der persönlichen Integrität den unbedingten Schutz verlangt. Und mir ist in der theologischen Literatur aufgefallen, bis heute, bis in die Gegenwart, dass dort, wo ich sage mal, im außertheologischen Bereich, vor allem in der Jurisprudenz, selbstverständlich von der Person gesprochen wird, die Theologie immer noch von den Menschen und schlimmer noch vom Singular, dem Menschen spricht. Das ist ein Running Gag durch die Theologie hindurch, Geschichte hindurch. Und wenn man sich überlegt, wie der theologische Mensch, also der Gattungsbegriff Mensch das pejorative gegenüber zu Gott und wir sprechen immer noch von Menschen ich vermeide diesen Begriff seit langen und spreche von Personen und stelle selbst fest das ist wie ein Fremdkörper in der theologischen Rhetorik Ich meine, überleg mal, wo du in theologischen Werken, wo von der Person die Rede ist. Es ist immer von Menschen die Rede und ich glaube, jetzt könnte man sagen, das ist eine Spitzfindigkeit. Wir wissen doch, was wir meinen. Nein, das ist ein Denkstil und der Mensch ist theologisch wirklich besetzt in der Relation, und zwar als pejorativ zu Gott.
00: 21:44 Stephan
00: Also jetzt musst du vielleicht kurz unsere Zuhörerinnen und Zuhörer mitnehmen. Diese Unterscheidung Person -Mensch, was trägt die aus auf das Thema Missbrauch, Strukturen von Missbrauch, systemische Zusammenhänge, die Missbrauch begünstigen in der Kirche?
00: 22:05 Frank
00: Also ich würde es mal, um es ganz platt zu sagen, es macht einen Unterschied, gibt, ob ich Isabelle als Mensch vor mir sehe oder als Person. Es gibt ganz viele Beispiele in der Kirchengeschichte und Theologiegeschichte, wo man das klar machen kann. Wirklich alle Konfessionen, da kann sich keiner von freisprechen. Durchgehende Kritik 1948, Menschenrechtserklärung war, es kann nicht sein, dass sich die Menschen als Personen zum Souverän machen, es gibt nur einen Souverän, das ist Gott. Karl Barth ist nun einer der leuchtenden Vertreter dieser Meinung gewesen. Wenn man ihn vergleicht mit der Kritik von Hannah Arendt, die auch ein kritisches Verhältnis zu den Menschenrechten hat, ist das völlig anders. Und was ich damit sagen will, die Person im Sinne eines des autonomen Wesens die absoluten Schutz genießt als Person vor jedem übergriff dritter also es wäre sehr interessant wenn es meine Theologie der haut geben würde wo man deutlich zeigen könnte was ist überhaupt ein Übergriff? Ich glaube, wir haben jedenfalls kein theologisch elaboriertes Verständnis davon, was überhaupt Übergriff bedeutet. Was eben nicht erst anfängt, wenn ich mit der Keule zuschlage und Blut fließt. Was auch nicht erst anfängt, wenn ich irgendwie eine Person diffamiere, sondern weit eher. Wenn ich aber den Gattungsbegriff nehme, dann fällt das alles raus.
00: 23:55 Stephan
00: Okay, das heißt quasi, ich versuche noch mal nachzufragen, bei Menschen sind wir sofort bei diesen Containerbegriffen wie Rechten, Würde etc., die überhaupt nicht mehr trennscharf sind, wenn wir bei Person sofort bei Begriffen wären wie Integrität. Also so, dass man aushandeln müsste, okay Frank, was verletzt deine Integrität oder was brauchst du, um deine persönliche Integrität aufrecht zu erhalten ist das…
00: 24:23 Frank
00: Ganz genau und ich muss sagen die Menschenrechte sind natürlich eigentlich eine falsche Formulierung weil es ein personenrechte sind es sind nur Menschenrechte heißen sie nur weil sie auf diese Gattung bezogen sind und mir scheint mir scheint sowieso die Diskussion sehr interessant zu sein ob man das im Herrn umbenennen müsste schließlich sprechen wir im Grunde zumindest von analogen rechten auch für außerhumane Lebewesen, dass wir sogar für die Natur, Biotope und so weiter und so fort, sodass wir im Grunde genommen uns von dem Gattungsbegriff eventuell verabschieden müssen. Zumindest, was völlig klar ist, ebenfalls mit der Anerkennung der Geltung der Menschenrechte, dass wir von einer personalen Würde sprechen, die eben auf Lebewesen bezogen ist. Damals 48 noch auf die Menschen, aber jetzt können wir weiterdenken. Und mir scheint es einfach wichtig zu sein, wie können wir einen positiven theologischen Begriff von Autonomie bekommen, der im Grunde genommen das Fundament, den Felsen der Person ausmacht.
00: 25:43 Stephan
00: Okay, ich versuche das jetzt mal wieder ein bisschen zurückzubinden. Also wir Wir haben jetzt von Isabelle gehört, du warst nicht überrascht, für dich war es eine Erleichterung. Du hast gesagt, hey, ich arbeite ständig in Strukturen, wo eigentlich das, was selbstverständlich sein sollte, beinahe zum Skandal wird. Ich würde mich dann auch wundern, ob du vielleicht irgendwie anonymisiert ein Beispiel dazu bringen kannst, damit das etwas anschaulicher wird. Frank, du weist darauf hin, dass du sagst, naja, dass das so ist in diesen Strukturen. Und du hast jetzt, glaube ich, stärker nochmal an die kirchlichen Strukturen, die theologischen Strukturen gedacht. Das hängt damit zusammen, dass wir ein ganz schräges Bild haben von Menschen, nämlich in dem Sinne, dass wir ihn nicht als Person denken, sondern als Gattungsbegriff, den wir völlig überhöhte, aber dann auch nicht einholbare Rechte – jetzt um es so einfach zu sagen – zuschreiben. Ist das ungefähr richtig? Kannst du uns ein Beispiel geben? Eigentlich müsste das selbstverständlich sein, aber du wurdest angeschaut wie eine Außerirdische bislang.
00: 26:53 Isabelle
00: Ich habe auch darübergeschrieben, absolut anonymisiert usw. Ich möchte es aber gerne an der Entwicklung der Begriffe gut aufzeigen. Früher sprachen wir von Missbrauch, Kindsmissbrauch, sexuellem Missbrauch. Und man hat dann gemerkt, ja, Moment mal, es gibt ja auch keinen sexuellen GEbrauch. Also, das hat man gemerkt, das geht so nicht. Dann hat man gesprochen jetzt von sexueller Gewalt und sexualisierter Gewalt. Und das ist sehr spannend. Ich bin sehr froh, hat man die Gewaltperspektive in diesem Phänomen Zusammenhang endlich aufgenommen. Und natürlich lässt sich sexuelle und sexualisierte Gewalt nicht klar trennen, Aber es ist eine kleine Akzentverschiebung im Sinne, ob es primär eine sexuelle Handlung ist, die aber gewalttätig oder gewaltförmig ist, oder ob es primär eine Gewalttätigkeit ist, bei der die Sexualität funktionalisiert wird und deshalb sexualisierte Gewalt ist. Beides ist nahe beieinander. Ich finde diese Gewaltperspektive deshalb so absolut zentral, weil man eigentlich schon lange weiss. In der Forschung – denken Sie an Christian Pfeiffer zum Beispiel, Kriminologe – dass Kinder, Jugendliche, die in gewalttätigen Familien, in einem gewalttätigen Umfeld aufwachsen, bedeutend stärker Gefahr laufen, sexualisierter Gewalt ausgeliefert zu sein. Das heisst, die Schwächung, die Kinder und Jugendliche erleiden, schon in Familien oder in ihrem Umfeld, macht sie besonders empfänglich nachher für solche Gewalterfahrungen. Das heisst, Kirchen, wenn sie das jetzt mal zur Kenntnis nehmen, okay, es gibt hier Bezüge, und wenn wir wirklich etwas verändern wollen, dann müssen wir uns jetzt zum Beispiel ganz dringend einsetzen für gewaltfreie Erziehung. Also ein klares Politikum in der Schweiz, wir diskutieren ja schon seit mehreren Jahren darüber, da könnte man wirklich was bewirken, weil es da einfach nachgewiesenermassen Zusammenhänge gibt. Das ist so ein ganz konkretes Beispiel. Deshalb setzen wir uns jetzt auch zum Beispiel für Kinder - und Jugendseelsorge ein. Wir sagen, das wurde von den Kirchen vernachlässigt.
00: 29:27 Frank
00: Aber Isabelle, müssen wir da nicht, wenn ich dich richtig verstehe, voraussetzen, dass wir überhaupt erst einmal Gewalt als Realität anerkennen und nicht im Grunde genommen losgehen und mit dem Friedens-Jesus rumlaufen und eine soziale Welt suggerieren, die ohne Gewalt ist, weil dann brauchen wir keine gewaltfreie Erziehung mehr, wenn wir sowieso alle schon so gestreamt sind, wenn wir nur die richtige Moral haben. Da bin ich bei meinem nächsten Lieblingsthema. Ich glaube wir haben ein echtes und schon lange ein echtes Problem mit der Über-Moralisierung, die ja jetzt auch von über die Kirchen hinaus in die Gesellschaft geschwappt ist. Und diese nachvollziehbar, aber sie führt dazu, dass wir im Grunde genommen uns selbst ständig überfordern einerseits und dass wir glaube ich auch selbst uns genötigt sehen immer ein besseres Bild von uns zu haben, als es realistisch betrachtet aussehe. Und mir geht es darum, dass auch im Anschluss, was ich eben gesagt habe, das ist eigentlich mit dem Opferbegriff Wir dürfen keinen Opferbegriff haben, wo wirklich die Opfer Victims sind. Das passt nicht in das christliche Weltbild. Und das Umgekehrte ist die Kehrseite der Medaille. Wir dürfen keine Realität der Gewalt annehmen. Das passt auch nicht in das Weltbild. Und wenn, dann höchstens in so einem therapeutischen Ding müssen wir wegmachen.
00: 31:06 Isabelle
00: Aber das ist ja mit ein Grund, weshalb die Konfliktkultur in den Kirchen ja ständig ja auch zu Recht kritisiert wird, weil diese Dinge ausgeblendet werden, denn die passen nicht in unser Selbstbild hinein. Und wir kommen in dieser ganzen Konfliktgeschichte nicht weiter, wenn wir das nicht endlich mit in Rechnung stellen.
00: 31:29 Frank
00: Aber müssten wir da nicht auch so konsequent sein – das ist ja immer meine ein bisschen bösere These, dass ich sage, noch mal an Darlene anschließend, wir müssen eigentlich einen positiven Begriff einer theologischen Selbstverteidigung, einen theologisch positiven Begriff der Selbstverteidigung haben.
00: 31:49 Stephan
00: Wer verteidigt was gegen wen?
00: 31:51 Frank
00: Wir akzeptieren ja vollständig als gute, liberale Demokratinnen und Demokraten, dass es ein Gewaltmonopol des Staates geben soll. Also nicht, dass die Gewalt abgeschafft wird, sondern dass die Gewalt in die guten Hände theologisch -ethisch -positiven Begriff von Selbstbehauptung, Selbstverteidigung haben. Wir müssen, was es in der Theologie gar nicht gibt, mal einen Sicherheitsbegriff entwickeln.
00: 32:45 Isabelle
00: Frank Urbaniok, unser berühmter Psychiater, Forensiker, hat ja kürzlich eine Homepage und Podcasts verantwortet und hat genau in die Richtung aus seinem Fach her argumentiert und wurde dann massiv angegriffen.
00: 33:08 Frank
00: Das sind ja gute Aussichten.
00: 33:10 Isabelle
00: Ich merke, in dem Moment, wo man diese heiklen, unangenehmen Themen benennt, wird es einfach schwierig. Weil, nochmals, Dinge, die unangenehm sind, die man einfach nicht in sein Selbstbild, oder wo man einfach Schwierigkeiten hat, wo man seine Wahrnehmung ganz anders geschult hat, die passen da nicht hier rein und die verursachen Angst und die wecken einfach Abwehr. Und das immer wieder auszuhalten, es ist manchmal wirklich ermüdend.
00: 33:41 Frank
00: Ja, es geht ja noch weiter, wenn ich das, glaubst du, noch sagen kann, in der theologischen Pointe. Genau. Ich habe das mal so ein bisschen angeguckt. Also erst mal ist es bezeichnend, dass es den Sicherheitsbegriff in den einstehenden theologischen Lexika gibt es in gar nicht. Und biblisch, ich habe nachgeguckt, die Zürcher Bibel übersetzt 49 Mal verwendet sie den Ausdruck Sicherheit oder sicher, aber im Originaltext sind das völlig andere Kontexte.
00: 34:10 Isabelle
00: Darf ich ganz kurz, ich habe schon vor mehreren Jahren bei den Qualitätsstandards für die Gefängnisseelsorge kritisiert, dass nirgends der Begriff Sicherheit folgt. Das ist genau so ein Beispiel.
00: 34:20 Frank
00: Und dann habe ich mal so historisch geguckt. Also der Sicherheitsbegriff ist eigentlich eine Erfindung des römischen Rechts oder der römischen, auch der römischen Philosophie. Cicero hat erst mal das als Tugend verstanden, also die Sicherheit vor den menschlichen Affekten. Dann wurde es ein politischer Begriff und zuerst hat in die Kirche, also nach der konstantinischen Wende, übernommen und relativ schnell wurde er zu einer der Todsünden, weil natürlich die biblische Botschaft von der Kirche übernommen war, in der Welt gibt es keine Sicherheit. Wir präsentieren euch ein alternatives Modell, wo es die Sicherheit gibt. Und damit verschwand die Securitas aus dem theologischen und kirchlichen Vokabular und wurde die Certitude ausgelagert, eigentlich als Heilsgewissheit. Und das heißt, Sicherheit hat erstmal eine dezidiert negative theologische Konnotation. Und wie will ich aus dieser theologischen Perspektive, die menschliche Sicherheitsbedürfnisse immer negativ konnotiert, eigentlich zu einem positiven Verständnis von Sicherheit kommen? Das ist ja nicht so selbstverständlich.
00: 35:35 Stephan
Jetzt sind wir an einer ganz interessanten Kreuzung, oder? Isabelle hat jetzt darauf hingewiesen, es gibt so etwas wie einen – ich versuche das jetzt in eigenen Worten zu sagen – psychologischen Mechanismus, der ausblendet, was nicht in das Raster passt von dem, was man gerne sehen möchte, was man sich gewohnt ist zu sehen. Du, Frank, hast jetzt darauf hingewiesen, na ja, das gibt es theologisch sogar ganz klar mit gewissen Begriffen, die per se ausgeschlossen sind in dieser Systematik, in der wir drin denken. Ein Zentralbegriff, der mir dabei in den Sinn kommt, der jetzt beides verbindet, also das ist aber etwas, was wir Menschen generell eh nicht sehen wollen und dann deswegen übersehen, plus das, was theologisch so geframed ist, wäre ja der Punkt von Schuld und Vergebung. Das hat ja in der EKD -Studie eine ganz wichtige Rolle gespielt und ich kann nur sagen, ich habe mich selbst bei der Lektüre eures Sammelbandes dabei ertappt, dass es auch in mir das auslöst. Matthias Wirt zitiert dort drin Michael Beindker, der selbst in einem Text zum Thema "Was leistet Aufarbeitung" folgendes gesagt hat. Er hat gesagt: "Theologie muss zur Kenntnis nehmen, dass es Ausmaße von Schuld gibt, denen das Vergeben nicht gewachsen ist." Und mein erster Affekt war, das kann nicht sein. Mein zweiter Affekt war, mich zurückzuziehen auf eine dogmatische Aussage, die sagen würde, naja, das rechnet aber nicht mit einem souveränen Handeln Gottes, wenn das so ist. Erst der dritte Moment war, zu fragen, warum verteidigst du das jetzt, dass das nicht geht. Warum ist das eigentlich so? Was verlierst du damit, wenn du sagen würdest, dieser Satz ist wahr? Und ich glaube, das, was letztendlich damit auf dem Spiel stand, ist etwas wie eine Gewissheit, dass es nichts gibt, was nicht vergeben werden kann. Das ist noch die harmlose Variante. Damit können wir gut leben. Das gibt ein tolles Urvertrauen. Aber das Schlimme ist, es gibt auch nichts, was nicht vergeben werden soll. Und das zeigt sich ja jetzt gerade bei dieser ganzen Thematik von sexualisierter Gewalt im Umgang mit Menschen und dann auch der Aufarbeitung, die da kommen soll mit den Betroffenen, dass diejenigen, die nicht bereit sind, sich in diesen Vergebungsmechanismus einzugeben, die werden sehr rasch die Erfahrung machen, dass sie ausgeschlossen werden vom System. Und das nimmt mich noch mal Wunder. Ihr seid beide Theolog:innen, die viel über das nachgedacht haben. Das ist ja jetzt nicht irgendwie etwas Periferes am Christentum, was man auch mal abschaffen könnte. Also wir haben es in der Unser Vater -Bitte drin, vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigen. Das klingt ja wirklich fast wie ein Automatismus. Wir haben die Idee, Hannah Arendt, die macht das ja ganz stark, die große Botschaft von diesem verrückten Jesus aus Nazareth ist, dass wir uns Sünden vergeben können. Es scheint etwas zu sein, was jetzt wirklich ins Herz des Christentums greift, was wir da sehen. Was macht das mit euch? Wie geht ihr das an?
00: 39:14 Isabelle
00: Vielleicht gibt es so etwas wie eine Art dynamisches Vergeben, nämlich dass das etwas ist, was nicht einfach ein für alle Mal erledigt ist. Es gibt doch Phasen im Leben, da kommt man mit etwas, das einen verletzt hat, gut zurecht, und da kann man es weglegen, und dann kann es aber immer wieder mal aufploppen. Ich finde, aus Sicht von Seelsorgenden ist das Zentrale, dass sie es aushalten, was auch immer die Person, ob sie vergeben möchte, nicht vergeben möchte, nicht vergeben will, was auch immer, dass es ausgehalten wird. Das ist das Zentrale. Und auf gar keinen Fall in irgendeine Richtung die Person drängen will. Das ist nicht ganz einfach. Das halten nicht alle aus.
00: 40:05 Frank
00: Also ich will das verstärken. Also für mich die zentrale Frage ist, die Spiyvak gestellt hat, wer spricht. Vergebung gibt es nur in der ersten Person Singular und alle Sätze aus der dritten Person Perspektive halte ich für zumindest prekär, wenn nicht sogar für gefährlich. Ich muss sagen, mir hat das nie gepasst, wenn die Kirche über Vergebung spricht. Wenn sie über Gott spricht, wenn sie über Jesus spricht, ist das okay, aber fatal wird es, wenn es von einer dogmatischen zu einer ethischen Aussage wird. Wenn wir also ein Attribut, was wir Gott zu schreiben, für uns selbst in Anspruch nehmen und als Forderung an Menschen richten. Dann haben wir verloren.
00: 41:08 Isabelle
00: Ja, das geht nicht.
00: 41:09 Stephan
00: Ich verstehe das und ich teile diese Intuition sofort. Ich habe nur ein anderes Problem, was sich daraus ergibt, Frank. Machen wir es mal so mit einem einfachen Satz wie Für Gott ist es nicht unmöglich, jede Schuld zu vergeben, zu tilgen.
00: 41:28 Frank
00: Zum Glück bin ich nicht Gott.
00: 41:31 Stephan
00: Jetzt kannst du sagen, naja, das mag sein, ich bin ja nicht Gott, also trifft das auf mich nicht zu. Würde dann aber heißen, Gott müsste auch in der Lage sein, über deinen Kopf hinweg vergeben zu können, was dir angetan worden ist. Und ich meine das jetzt wirklich nicht so als blöde Denkaufgabe, wie kann er einen Stein machen, der so schwer ist, dass er ihn nicht hochheben kann. Also darum geht es mir nicht, sondern nur schliesst nicht schon Vergebung als Begriff in sich selbst aus, dass das über den Kopf von Betroffenen hinweg passieren darf. Also wird nicht Vergebung als etwas, das aufgibt, an etwas festzuhalten, nur dadurch möglich, dass derjenige, der darin gefangen ist, als supererogatorisches Moment, das loslässt, ohne dass irgendjemand das von ihm oder ihr je hätte einfordern dürfen.
00: 42:34 Frank
00: Gut, das würde ja bedeuten, eine Person vergibt, wenn sie vergibt.
00: 42:39 Stephan
00: Genau.
00: 42:41 Frank
00: Das würde ich auch nicht ausschliessen, aber es gibt keine Gründe, warum sie vergibt, Es gibt keine Begründung, warum man die Forderung stellen kann. Es gibt nicht mal eine Plausibilität. Wahrscheinlich, das ist jetzt so ein bisschen aus der Hüfte geschossen, aber wahrscheinlich kann sich Vergebung nur ereignen, selbst für die Person, die vergibt. ich weiß nicht es ist wieder wir sind wieder moralisch völlig verkleistert wenn wir meinen wir würden uns eine Forderung verspüren zu vergeben ich glaube das stimmt nicht das bilden wir uns ein das sind wir indoktriniert.
00: 43:25 Stephan
00: Das kann gut sein, aber wenn wir das mal jetzt mit diesem dreh weiter denken, dann wird sowas wie unser Vater bitte vergibt uns unsere schuld wie wir vergeben unseren Entschuldigen, erscheint er plötzlich in einem komplett anderen Licht.
00: 43:40 Frank
00: Ich glaube einfach, dass Vergebung, wenn sie wirklich funktioniert, dann muss sie die größte Disharmonie sein. Und wir verwechseln ständig unser Harmoniebedürfnis damit, dass wir die Harmonie herstellen können, indem wir möglichst viel vergeben.
00: 43:55 Isabelle
00: Und etwas müssen wir unbedingt, was einfach zentral ist, dass Menschen auch dann weiterleben können müssen, wenn ihnen nicht vergeben wird. Also, um auch noch eine andere Perspektive mit einzubringen. Das heißt, ihr Leben ist dann auch nicht abhängig davon, dass ihnen Schuld vergeben wird.
00: 44:18 Frank
00: Ja, und die Personen, die nicht vergeben können, müssen auch weiterleben können.
00: 44:22 Isabelle
00: Unbedingt.
00: 44:22 Frank
00: Also, ich meine, vieles, was wir heute unter dem Begriff von Trauma subsummieren, hat ja damit zu tun.
00: 44:32 Stephan
00: Erklär das kurz Frank.
00: 44:34 Frank
00: Also das muss Isabelle erklären.
00: 44:37 Stephan
00: Ja genau. Also wie hängt das zusammen? Trauma.
00: 44:44 Frank
00: Also Trauma ist für mich eine Situation. Isabelle du musst mich korrigieren, weil ich bin der absolute Laie und du bist die Expertin. Trauma ist für mich oder so stelle ich mir das vor und meine sehr rudimentären Kenntnissen ist etwas was dich gefangen hält und wo du völlig ohnmächtig dieser Erfahrung und deinem Erleben gegenüber ausgesetzt bist. Das heißt, selbst wenn du es verarbeiten, bearbeiten, integrieren, loswerden, selbst wenn du vergeben willst, du hast keine Macht darüber, das zu tun.
00: 45:21 Isabelle
00: Das ist eine der schlimmsten Ohnmachtserfahrungen, dass man eben genau dem ausgeliefert ist. Du musst mir aber noch erklären, wie du den Zusammenhang herstellst zur Vergebung. Denn unabhängig, ob es da vergeben wird oder nicht, es kann natürlich heilend sein, für den Prozess das Trauma zu überwinden, dass jemand sich entschuldigt oder beziehungsweise um Entschuldigung bittet, und dass ich vergeben kann. Es gibt auch Ansätze, die sagen, nur wenn ich vergeben kann, kann ich ein Trauma wirklich überwinden. Da wäre ich sehr vorsichtig. Ich denke, Traumata sind auch zumindest lebbar, ohne sich jetzt gedrängt zu fühlen, vergeben zu müssen, so sehr es natürlich für ein Weiterleben, für das eigene Weiterleben auch befreiend sein kann, zu sagen, was auch immer war, ob man dem jetzt Vergebung sagen will oder nicht, es hat keine Macht mehr über mein weiteres Leben. Das kann auch eine Form von Vergebung bedeuten.
00: 46:22 Stephan
00: Das finde ich sehr spannend, weil es scheint mir irgendwie doch noch mal was anderes zu sein, ob ich sage, ich spreche mich selbst davon frei, von dieser Handlung, die jemand an mir getan hat, bestimmt zu sein und darauf auch reduziert zu sein, in einem Begriff ein Opfer zu sein oder wie auch immer, oder zu sagen, ich rechne es dir nicht mehr an. Ich könnte mir auch vorstellen, dass man wunderbar weiterleben kann unter der Voraussetzung, dass ich in keiner Art und Weise mehr in Beziehung stehen möchte zu dieser Person, die sowas angetan hat. Ganz genau. Und das müsste ja jetzt nicht in einem negativen Sinn Verdrängung sein, sondern das könnte ja eigentlich sogar eine Art Selbstwirksamkeitserfahrung sein, dass ich sage, ich kann mich als mich selbst behaupten, ohne in dieser Beziehung stehen zu müssen und die immer klären zu müssen.
00: 47:19 Isabelle
00: Ganz genau.
00: 47:20 Frank
00: Aber da haben wir dann wieder, wenn ich das wieder theologisch streame, die nächste eskalierenden Konflikt. Wie machen wir es dann mit der Mahlgemeinschaft, mit der ganzen Geschwisterlichkeit.
00: 47:31 Stephan
00: Wie machst du es mit dem Friedensgruß, oder, der vorangeht. Und das, wisst ihr, das ist das, was mich so beschäftigt beim Ganzen. Ich habe ein bisschen Angst, dass wir jetzt zu Massnahmenpaketen kommen werden in der Kirche, genauso, wir können den Fall jetzt nicht vertiefen, aber genauso wie es das gibt bei der Uni, wenn an einem Institut etwas nicht gut läuft, wir kennen das jetzt gerade, Sven, dann gibt es Massnahmenpakete und wir machen die 16 tollen Schritte und für die zwölf Konsequenzen stehen die vier Leute gerade etc. Und das läuft dann, aber das, was doch im Moment eigentlich auf dem Spiel steht, sind fast alle Begriffe und die Konstellationen dieser Begriffe, die so ungefähr das ausmachen, was man so ein Weltbild im christlichen Glauben nennt. Also, dass da der liebe Gott ist, dem ich mein Leben verdanke, dem mein Nächster auch sein Leben verdankt, wir uns zwar wehtun können, aber auch wieder vergeben können, dass wir uns eine Entschuldigung schulden, aber dann auch Vergebung, Schulden etc., dass die Beziehung, wie wir sie untereinander gestalten, prägend ist für die Beziehung, die der liebe Gott mit uns hat. Das sind ja alles Dinge, die mag man sich so kaum mehr denken, wenn man schon nur diesen zusammenfassenden Teil der Metastudie von Watzlawick gelesen hat. Also da sträubt sich einem doch alles und man fragt sich so, wie soll das jetzt wieder gehen? diese Art von Theologie, die wir jetzt immer selbstverständlich gedacht haben, einfach so weiterzumachen, als wäre nicht?
00: 49:12 Frank
00: Eben, das ist eigentlich die Frage, die mich ja auch beschäftigt, deswegen habe ich das mit der Mahlgemeinschaft auch eingeführt, das Beispiel gebracht, weil der Punkt ist, wir können ja sagen, wir könnten natürlich sagen, also unser ganze kommunitärer, unser ganzer kommunitärer Geist, der eine gewisse Moral befördert hat, die im Grunde genommen uns unaufmerksam gemacht hat, unsere Wahrnehmung wirklich zugekleistert hat, die müssen wir hinter uns lassen, aber dann können wir die Kirche dicht machen.
00: 49:46 Isabelle
00: Da würde ich jetzt mit dir widersprechen.
00: 49:47 Frank
00: Ja, ich wollte noch. Ich wollte erstmal nur diese Konfrontation.
00: 49:51 Stephan
00: Da bin ich aber froh.
00: 49:54 Frank
00: Also ich glaube, was wir wirklich eine neue Perspektive gewinnen müssen, ist all das, was wir an der Kirche schätzen. was die Tradition und wir von über sie sagen und was uns wichtig ist, ist immer ambivalent und prekär. Nicht den Gemeinschaftsgeist aufgeben und so weiter und so fort, sondern zu wissen, wenn ich das behaupte, dann mache ich eine prekäre Behauptung, die hoch riskant ist und dieses riskante Setting, diese Ambivalenz, diese tiefe Aber Ambivalenz, die muss immer bewusst sein, da muss sich eine enorme Aufmerksamkeit für entwickeln. Die ist gewaltig anspruchsvoll.
00: 50:45 Isabelle
00: Da würde ich jetzt sofort zustimmen. Das heißt ja auch, realistischer werden. Und das heißt wirklich, nicht nur das Positive oder das, was einem gefällt, zu sehen, sondern genau das andere auch und wirklich sensibel dazu werden für all das, was wir so gerne ausblenden. Was das Abendmahl anbelangt, es hat nie geheißen, dass wenn wir miteinander Abendmahl feiern, dass wir zugleich in Harmonie sein müssen. Nein, eben ganz bewusst kann ich auch mit Leuten, mit denen ich jetzt nicht in trauter Einsamkeit sonst bin, Abendmahl feiern. Das zeichnet das Abendmahl aus, dass wir alle Gäste sind, auch die Person, mit der ich jetzt vielleicht ein Problem habe. An den Tisch des Herrn werden wir eingeladen, und er lädt ein.
00: 51:37 Frank
00: Aber Isabelle, was würdest du sagen, weil du bist die Expertin, müssen wir da nicht im Grunde genommen unterscheiden lernen zwischen der, sage ich mal, Heilsgemeinschaft im Abendmahl und der sozialen Gestalt von Kirche, also diese sozialen Strukturen und Konstellationen der real existierenden Kirche, weiß ich nicht, in der Kirchgemeinde so und so.
00: 52:09 Isabelle
00: Tun wir das nicht?
00: 52:12 Frank
00: Ja, tun wir das bestimmt, aber mich interessiert ja immer, wie kriegt man das theologisch hin? Kann man das machen, weil wir ja immer gerne dann in diese Metapher und das ist ja auch das, was, ja ich erwarte es ja fast sonntags von der Fahrperson, dass sie irgendwie die Gemeinschaft beschwört, der Tapferen, die noch da sind.
00: 52:40 Isabelle
00: Diese ganzen Begrifflichkeiten von Ambivalenz, Toleranz, Ambiguität, Toleranz, Ich meine, das zielt doch genau in die Richtung, Lernen auszuhalten, dass es nicht einfach – wir sind noch nicht dort, wo wir hoffentlich vielleicht eines Tages sein werden oder möchten. Selbstverständlich. Du kannst ja theologisch nichts anderes tun, als genau auf diese Ambivalenz hinzuweisen. Mit dem Begriff der Selbsttäuschung, das ist ja genau implizit, dass wir diese Dinge eben gerne ausblenden, und wir müssen sie unbedingt wieder reinholen, damit wir diese Dinge auch wahrnehmen.
00: 53:21 Frank
00: Aber das würde doch auch bedeuten, dass diese kirchliche Gemeinschaft eine echte Konfliktgemeinschaft wird, die nicht nur in der Lage ist, sondern auch bereit ist, Konflikte auszutragen, die noch viel schlimmer oder härter, nicht schlimmer, eben nicht schlimmer, sondern härter, die auch eine Disharmonie nicht nur aushält, sondern wahrscheinlich sogar wollen muss ein Stück weit, um nicht zu verdecken.
00: 53:51 Stephan
00: Plus jetzt noch einen Dreh weiter mit EKD -Studie im Hintergrund. Eine Gemeinschaft, die auch Menschen zuwilligen muss, sich nicht in diesen Konflikt hineingeben zu müssen und darin irgendwen zu vergeben oder irgendwem noch mal zuhören zu müssen. Also es muss auch möglich sein zu sagen ich habe euch das jetzt gesagt, das ist die Grenze meiner Kapazität, mehr kann ich nicht tun, ohne dass ich irgendjemandem vergeben oder zuhören oder mich in irgendetwas integrieren oder so können muss.
00: 54:30 Isabelle
00: Das ist A und O.
00: 54:33 Frank
00: Und die große Herausforderung ist dann, die ja Rainer Ansem sehr schön in dem Text in deinem Band problematisiert, wie gehen wir dann um mit Konsens, Gewissheit und Vertrauen. Also ich mein Vertrauen, Fides et Fiducia, die also wirklich im Zentrum der reformatorischen Theorie Glauben heißt Vertrauen und Vertrauen. Ja, ja, schön gesagt. Aber natürlich ist, wenn ich diese, sage ich mal, diese Harmonie -Stimmung erzeuge oder eine allgemeine Erwartung, Erwartungshaltung stark machen kann, dann ist das mit dem Vertrauen geschenkt. Das geht dann wie Butter in der Sonne. Was ist aber, wenn ich feststelle, nein, so ist es nicht. Es gibt ein gesundes Misstrauen, manchmal auch ein ungesundes. Es gibt eine Disharmonie, die, Isabelle, wie du am Anfang gesagt hast, wir müssen einfach mal den Menschen in seiner Gesamtheit zur Kenntnis nehmen, da den Menschen. Und dann aber nicht die Person darüber vergessen, wie sie uns nämlich erscheint. Kein Mensch erscheint uns als Mensch, sondern immer als Person. Aber wie kann ich Vertrauen in Strukturen, die ich durchaus als disharmonisch wahrnehme und die es sein müssen?
00: 56:02 Stephan
00: Wie kannst du in diesen Strukturen oder diesen Strukturen vertrauen?
00: 56:07 Frank
00: In diesen. Vertrauen tue ich den Strukturen, wenn sie disharmonisch sind, vertraue ich viel eher. Ich vertraue nie einem Club, der einer Meinung ist. Das habe ich noch nie gedacht.
00: 56:21 Isabelle
00: Es ist einfach, was wir jetzt diskutieren, irgendwie setzt es ja auch Personen voraus mit einer gewissen Bewusstheit, mit einer gewissen inneren Stärke, mit einem gewissen inneren Erfahrungshorizont. Ich befürchte, wir überfordern vielleicht auch gewisse Personen, die ja auch Teil der Kirche sind. Und die Frage ist, wie können wir Leute stärken, damit sie sich das auch zutrauen, hier auch kritisch zu sein und Dinge wahrzunehmen, die sie vielleicht ängstigen oder sie durcheinanderbringen. Und das geht es. Wie kriegen wir die Stärke hin?
00: 57:06 Stephan
00: Ich würde da sogar noch eine Forderung draufsetzen. Das wäre ja toll, wenn Kirche ein Ort wäre, wo diese Personen so stark werden könnten, dass sie selbst für sich einstehen können. Aber eigentlich finde ich so, Kirche als ganzer Begriff muss eigentlich immer mit denen rechnen, die das noch nicht sind und auch mit denen, die das nie werden können. Also aus ganz unterschiedlichen Gründen ganz besonders schutzbedürftig sind und bleiben. Und das ist ja eigentlich schon die Frage, die Kirche nochmal anders angehen müsste als jetzt zum Beispiel ein Sportverein. Sorry, wenn das jetzt zynisch klingt, aber da würde ich einfach sagen, naja, habt ihr mehr oder weniger Fälle als ein anderer Sportverein. Bei Kirche kann das ja nie funktionieren, aus dem Selbstverständnis heraus, sondern die muss ich ja immer fragen, sind wir der bestmögliche Ort für Schutzbedürftige in unseren Reihen? Das käme ja da noch mal dazu. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir sagen müssen, wir haben lange gedacht, dass wir da ziemlich gut sind, weil wir nicht diese Strukturen haben, wir haben sie am Anfang genannt, sondern ganz andere Strukturen haben. Jetzt wissen wir, die Strukturen haben uns nicht davor bewahrt, zum Teil waren sie sogar missbrauchsbegünstigend. Wir wissen, die Strukturen haben uns dann nicht geholfen, wo es darum ging, Fälle aufzuarbeiten, Menschen zuzuhören. Jemand hat bei der Pressekonferenz gesagt, die Kirche des Wortes hat es nicht geschafft, uns zuzuhören und deswegen hat sie jetzt keine Sprache, um etwas zu diesem ganzen Missbrauch zu sagen, der jetzt hier steht. Das ist eine wirklich niederschmetternde Diagnose, die man nicht so einfach verdaut. Frank, du hast angesprochen, es gibt theologische Konstrukte und Begriffe, die so ineinandergreifen, dass sie das, was Isabelle in der psychischen Struktur des Menschen, nämlich dieses Wegschauen, dieses Nicht -Wahrnehmen aufgezeigt hat, auch sich selbst heraus begünstigen. Lass uns mal so in der Schlussrunde vielleicht mal das Ganze konsolidieren, was jetzt besprochen worden ist und mal formulieren, was wäre denn jetzt ein Ausblick, der nicht die Probleme löst? Das wäre mir zu viel. Aber wo man sagen könnte, das könnten wir tun. Es würde mir irgendwie Hoffnung geben, dass es besser wird, als es war.
00: 59:44 Frank
00: Also ich habe eine vielleicht viel zu simple Antwort. Aber die anschließt an das, was du gesagt hast. die Kirche des Worts hat fällt nichts mehr ein oder hat nichts zu sagen würde ich sagen ja das ist doch wunderbar die Hiob Geschichte als die Freunde anfangen ihm zu erklären warum das mit warum die Logik der Geschichte eigentlich ganz gut funktioniert sagt ihnen haltet die klappe und lasst mich reden und die große reformatorische jedenfalls der reformierten Reformation war ja das Hören zu schulen. Dummerweise haben sie es beschränkt auf das Hören auf Gottes Wort und da würde ich heute ergänzen, zweite Reformation 02 oder 2.0, auch auf die andere Person.
01: 00:39 Stephan
01: Gibt es bei dir auch so etwas, was du sagen möchtest?
01: 00:41 Isabelle
01: Ja, ich kann mich da gerne gleich, ich befürchte einfach auch, das Hören wie das Sehen ist ist von vielen gesteuert, und vieles fällt dadurch. Mich interessiert insbesondere, wie wir das Spektrum dessen, was wir sehen, dessen, was wir hören, erweitern, damit uns diese Missbrauchsgeschichten nicht immer durch die Latten gehen, im Sinne, dass sie einfach negiert werden und dann diejenigen, die sie erlebt haben oder diejenigen, die versuchen, darauf aufmerksam zu machen, dann noch negativ gestempelt werden. Wir lernen, diese Zusammenhänge besser zu durchschauen. Das Schwierige ist, das ist mit einem hohen kognitiven Aufwand verbunden. Den können und wollen nicht alle leisten, aber die Kirchen oder wir alle sind dazu aufgefordert, wir müssen an dem weiterarbeiten, dass dieses Spektrum erweitert wird.
01: 01:45 Stephan
01: Ich habe leider nichts gefunden, was jetzt aus der Kirche selbst kommt, wo ich sage, ah ja, das gibt mir jetzt so ein Hoffnungsfunken, dass das gut kommt. Ich hoffe eigentlich, dass wir mit Blick auf andere Disziplinen und andere Berufsgebiete Impulse finden, die uns weiterbringen. Ich habe eine Ex -Freundin, die ist Psychotherapeutin. Da gibt es ganz geklärte, geregelte Verhältnisse, in welcher Art von Beziehung sie mit einem Klienten während welchen Zeitraums stehen kann. Es ist klar, wie viele Selbsterfahrungsstunden sie mit sich gemacht hat, angeleitet hat. Das sind sehr, sehr hohe Qualitätsstandards, die wenigstens versuchen, möglichst vieles von dem Risiko irgendwie wegzunehmen und sie auch in eine Verantwortung zu setzen, auf die sie konkret ansprechbar ist. Sie kann nicht einfach sagen, naja, ich pflege immer ein freundschaftliches Verhältnis mit meinen Patienten oder Klienten. Das würde da nicht ziehen. Es wäre nicht möglich. Und ich glaube, das, was mir Hoffnung geben würde, ist, dass wir, ohne quasi zu einem Überwachungsstaat im Staat zu werden, wenigstens zu einer Gemeinschaft würden, die sagen würde, wir geben uns selbst so Regeln. Und diese Regeln verstehen wir nicht als etwas Moralistisches oder irgendwie verwaltungsmäßig Aufgepfropftes, sondern so als eine Art, wie wir liebevoll mit denen umgehen, die das besonders brauchen und vielleicht nicht für sich einfordern können?
01: 03:31 Isabelle
01: Wir haben gewisse Regeln. Wir haben die Verpflichtung, einen Strafregisterauszug vorzulegen, und nicht nur das, auch noch einen Sonderprivatauszug, um auch zu schauen, ob irgendein Rayonverbot oder ein Kontaktverbot vorliegt. Da gibt es natürlich in der Seelsorge auch viele klipp und klare Standards. Das Problem ist, dass trotz vorhandener Standards, die natürlich etwas bewirken – ich will überhaupt nicht, das ist absolut zentral –, dass es schier unglaublich ist, wie Dinge nochmals – ich wiederhole mich – aufgrund unserer Mechanismen dann einfach trotzdem Dinge geschehen können. Und das geschieht auch in der Psychotherapie, das geschieht auch in der Psychiatrie sowieso. Da ist keine Berufsgruppe davor gefeit. Ich bin sehr froh, dass – ich mache gerne nochmals einen Hinweis darauf – mit der Kinder - und Jugendseelsorge da jetzt mal angesetzt wird, wo man wirklich längerfristig etwas bewirken kann, nämlich bei Kindern und Jugendlichen und einer gewaltfreien Erziehung.
01: 04:44 Stephan
01: Wir werden das natürlich auch verlinken. Das ist ein Projekt, wo du viel dafür und dabei bist, mit anderen zusammen. Mit Andreas Köhler-Andrecken. Genau, mit Andreas Köhler-Andrecken. Erzähl doch vielleicht gerade selbst noch, weil wir werden das dann eh verlinken in der Podcast-Folge.
01: 04:59 Isabelle
01: Gerne. Es geht schlichtweg darum, dass wir für fast alle und jede und jeden Seelsorgeausbildungen haben. Aber wir hatten nichts für Kinder und Jugendliche. Und wir wissen, dass die psychischen Störungen gerade bei Kindern und Jugendlichen massiv gestiegen sind, dass die Wartezeiten für Psychotherapien viel zu lange sind. Man kann Kinder und Jugendliche nicht so lange – man weiß, je länger man sie einfach nicht aufnimmt, desto schwerwiegende Schäden kann das haben. Und wir haben gesehen, es geht auch darum, Kinder und Jugendliche nicht einfach zu pathologisieren. Das wäre wirklich so einer der Orte oder der Punkte, wo Kirchen sich wirklich engagieren können, nämlich Kinder, Jugendliche frühzeitig aufzufangen, sie zu begleiten, damit sie vielleicht gar nicht in diese ganze Mühle hineinkommen. Und euer Angebot dabei ist jetzt auf der Ausbildungsseite, oder? Jawohl. Das Ziel ist schlichtweg, vorhandenes Wissen jetzt wirklich zu verteilen, zu schauen, dass das unter die Fachleute kommt im kirchlichen Bereich. Vieles ist da nicht bekannt, damit man da ansetzen kann. Und vielleicht längerfristig zu schauen, dass Kirchgemeinden spezifisch Kinder - und Jugendseelsorgende haben als Ansprechpersonen, damit wir wissen, viele Leute möchten nicht gleich in eine Psychotherapie oder mit dem Kind zum Psychiater oder so. Und das wäre so eine Auffangschaltstelle, die schauen kann, ist eine Triage nötig oder braucht es da vielleicht wirklich anderes, weil es schlichtweg zur Entwicklung gehört. Nicht jede Traurigkeit ist gleich eine Depression usw.
01: 06:40 Stephan
01: Super. Vielen Dank. Ich danke euch für dieses Gespräch. Wir haben natürlich weder das theologische noch das institutionelle Problem damit gelöst. Ich nehme mit aus dem Gespräch, es gibt sowas wie ein psychologisches System, das in uns ist. Und darauf müssen wir so wachsam sein, wie das die Kirchenväter auf die Sünde in uns waren. Und Frank, du hast mich nochmal darauf hingewiesen, dass wir über Begriffe, die mir ganz alltäglich scheinen, die seltsamerweise gerade in der Theologie kaum vorkommen, ebenfalls besonders wachsam sein müssen. So viel für heute. Wir wünschen euch gute zwei Wochen. Dann hören wir uns wieder mit einem Thema, das wir jetzt noch nicht kennen. Lasst euch überraschen. Bis dann. Tschüss zusammen und vielen Dank. Ade.
01: Dies ist ein automatisches Transkript, welches kurz überarbeitet wurde.
Mark Moser
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